Beagle von der Theresienhöhe

- to be different makes the difference -


Warum ist der Hund der Hund, der er ist?

Über die vor- und nachgeburtlichen Einflüsse auf Hundewelpen

 

In der Regel kommen die Hunde, die von Züchtern abgegeben werden, im Alter von 8 bis 12 Wochen zu ihren neuen Besitzern.

Dieses Zeitfenster sollte, wenn immer möglich, weder unter- noch überschritten werden. Ich rate zu einem Abgabezeitpunkt von nicht unter 10 Lebenswochen. Aber natürlich nur dann, wenn der Welpe im Züchterhaushalt optimale Bedingungen vorfindet!

 

Jeder Welpe bringt beim Einzug in sein neues Zuhause seine ganz individuelle Vorgeschichte mit. Denn er hat in seinem kurzen Erdendasein bereits ein ganze Menge Erfahrungen gemacht und vieles gelernt.

Vom Tag seiner Geburt an muss er sich mit seiner Umwelt auseinandersetzen, mit ihr interagieren und auf sie reagieren. Auf die unterschiedlichen Reize, mit denen er konfrontiert wird, reagiert der Welpe gemäss seinen genetischen Anlagen.

Wichtig zu wissen ist, dass die Grundlagen für die spätere Persönlichkeitsentwicklung des Welpen noch früher, nämlich bereits im Mutterleib, gelegt werden.

 

Ein neugeborener Welpe ist also kein unbeschriebenes Blatt!

Der Welpe, der zu Ihnen ins Haus kommt, ist die Summe seiner bisherigen Erfahrungen. Sein Verhalten ist zu 100 Prozent genetisch bedingt und zu 100 Prozent erlernt.

Diese Erklärung erscheint nur auf den ersten Blick paradox.

Zwischen einem Welpen und seiner Umwelt kommt es ständig zu einer Wechselwirkung. Basierend auf seinen genetisch fixierten und disponierten Anlagen, reagiert er auf die unterschiedlichsten Umweltreize, macht dadurch Lernerfahrungen und passt sich so, übrigens auch ganz ohne menschlichen Einfluss, den unterschiedlichsten Lebenssituation an.

 

Wie er wurde, was er ist

Wie erwähnt, hat der Welpe, der bei Ihnen einzieht, bereits eine ganze Reihe von Erfahrungen gemacht. Am wichtigsten ist natürlich erst einmal die Mutterhündin. Wo kommt sie her? Wie ist ihre Persönlichkeit? In welcher Umgebung und vor allem unter welchen Umweltbedingungen hat sie die Zeit ihrer Trächtigkeit verbracht?

Es ist ein Unterschied, ob sie mit qualitativ hochwertigem Futter ernährt wird, in der Obhut sozial kompetenter Hundehalter in einem Zuhause mit ausreichender Pflege ihre Trächtigkeitsmonate verbringt oder täglich um die wenigen Abfälle mit anderen konkurrierend auf den Strassen von Bukarest hochtragend zu überleben versucht.

 

Vorgeburtliche Einflüsse

Was man bei anderen Tierarten schon seit den 1950er-Jahren weiss, nämlich dass Ratten von Rattenmüttern, die in der Trächtigkeit Stress ausgesetzt waren, auch als Erwachsene ängstlicher und weniger stressresistent sind, ist inzwischen auch beim Hund nachgewiesen: Die Verhaltensentwicklung beginnt bereits im Mutterleib und hängt davon ab, welche Einflüsse die Hündin in der Zeit der Trächtigkeit erfährt.

Dauerstress bei der Hündin führt bereits in der Gebärmutter zu Veränderungen im Gehirn der Welpen.

Jungtiere aus solchen Verhältnissen kommen unsicher und mit weniger gut ausgebildeten Kompetenzen zur Welt.

Sie entwickeln keine so guten Stressbewältigungsstrategien; ihre Lern- und Bindungsfähigkeit ist eingeschränkt und auf Aussenreize reagieren sie oft unpassend, also entweder mit Ängstlichkeit und Rückzug oder mit unangemessener Aggressivität.

Sie haben somit denkbar ungünstige Startbedingungen, die man nur mit viel Mühe, oft aber überhaupt nicht in richtige Bahnen lenken kann.

Das so oft gehörte «der ist ja noch jung, da ist noch alles drin, wir haben ja noch die ganze Prägephase vor uns», stimmt also nur bedingt.

 

Stress beginnt im Mutterleib

Erlebt die Mutter in der Trächtigkeit Stress, wird das Stresshormon Kortisol aus der Nebennierenrinde ausgeschüttet.

Dieses fettlösliche Hormon ist plazentagängig, das heisst, es kann über den Nabelschnurkreislauf in die Welpen gelangen ‒ und dort hinterlässt es Spuren.

Die Veränderungen in der Verhaltensentwicklung, die der Welpe vorgeburtlich erfährt, sind also nicht durch Lernerfahrungen bedingt, sondern laufen auf hormoneller Ebene ab.

Dies passiert vor allem im letzten Drittel der Trächtigkeit, die beim Hund normalerweise 63 Tage dauert.

Die Folgen sind fatal, da sie sich direkt auf das Stresszentrum der Welpen auswirken. Denn das Stresszentrum im Welpenhirn wächst mit seinen Aufgaben, sprich: je mehr Kortisol über die Mutter darauf einwirkt, desto grösser und reaktiver wird es.

Und das bleibt ein Hundeleben lang so.

Dieses Stresszentrum im Gehirn der Welpen hat wiederum direkte Verbindungen zur Nebenniere, die die Stresshormone produziert. Das sind die Hormone Kortisol (Nebennierenrinde), Adrenalin und Noradrenalin (Nebennierenmark).

Diese beiden Stresshormonsysteme bleiben ein Hundeleben lang leichter erregbar als bei Hunden, die diesen vorgeburtlichen Einflüssen nicht ausgesetzt waren. Hunde mit solch einer Vorgeschichte reagieren also unter Umständen ihr Leben lang viel heftiger auf kleinste Stressoren, die für einen Hund nicht der Rede wert sind, der diese vorgeburtlichen Einflüsse nicht hatte.

 

Anfälliger für Krankheiten

Die vorgeburtliche Stresshormon-Flut hat auch andere Auswirkungen:

Zum einen sind die Welpen weniger widerstandsfähig gegen Infektionen, weil Kortisol das Immunsystem unterdrückt.

Zum anderen senkt es bei der Mutterhündin den Spiegel des Schwangerschaftshormons Progesteron, das für die Aufrechterhaltung einer Trächtigkeit notwendig ist.

Die Folge ist, dass die Welpen im Mutterleib schlechter versorgt werden. Tatsächlich findet man bei Welpen von dauergestressten Hündinnen oft geringere Geburtsgewichte und die Kleinen schaffen auch nicht die Tagesgewichtszunahmen, die Welpen von stabilen und ungestressten Hündinnen erreichen.

Man weiss, dass aufgrund des vorgeburtlichen Stresses der Mutter bzw. bei einer in den ersten Lebenswochen der Welpen überforderten Hündin weniger Bindungsstellen, sogenannte Rezeptoren, für das Bindungshormon Oxytocin im Welpen angelegt werden.

Also hat der Zustand der Mutterhündin rund um den Geburtszeitpunkt und in den ersten Lebenswochen direkten Einfluss auf die Bindungsfähigkeit der Hunde. Das Oxytocin hat zugleich stressdämpfende Wirkungen, es ist also ein Gegenspieler der Stresshormone.

 

Den Hundecharakter akzeptieren

Wenn der Hund erst auf der Welt ist, kann man also vieles nicht mehr ändern. Darum ist es so wichtig, auf die Herkunft des Hundes Wert zu legen – oder wenn man das nicht kann/will, sich darüber im Klaren zu sein, dass dieser Hund unter Umständen jede Menge Altlasten im Gepäck hat, mit denen man sich arrangieren muss.

Natürlich kann man an diesen Baustellen arbeiten und muss es sogar, aber gewisse Dinge lassen sich eben nicht mehr ändern.

Oft nimmt man sehr viel Druck aus einem Mensch-Hund-Team, wenn man die Charaktereigenschaften eines Hundes akzeptiert – ohne sie als Ausrede zu verwenden! – und versteht, dass nicht aus jedem Hund der «Kumpelhund» wird, der einen in die Grossstadt begleitet, Nerven wie Drahtseile hat und sich im Tumult eines Hauptbahnhofs wohlfühlt.

Unter Hundepersönlichkeiten gibt es eine ebenso grosse Vielfalt wie unter menschlichen Charakteren.

Wenn ich meinen Hund mit seinen Anlagen so nehme, wie er ist, und nicht auf Teufel komm raus versuche, ihn zu dem zu verbiegen, was ich gerne hätte, wird das Leben für Hund und Mensch in vielem leichter.

 

Die Entwicklungsphasen eines Hundes

Welche Einflüsse auf den ungeborenen Welpen einwirken, haben wir besprochen. Jetzt werfen wir einen Blick auf die wichtigsten Entwicklungsphasen des Welpen, weil auch sie natürlich die spätere Persönlichkeit des Hundes beeinflussen.

 

Die erste Phase im neugeborenen Hundeleben ist die sogenannte neonatale Phase, die von der Geburt bis zum 14. Lebenstag dauert.

Die kleinen Würmchen können anfangs nicht viel tun, ausser zu wachsen, zu schlafen, zu saugen und auszuscheiden.

Aber selbst das Ausscheiden von Kot und Harn funktioniert zunächst nur mit Hilfe der Mutter, die dazu die Anogenitalregion der Kleinen mit der Zunge stimulieren muss.

Die Zwerge sind auch noch nicht in der Lage, ihre Körpertemperatur allein zu regulieren, denn sie können erst ab der zweiten Lebenswoche zittern, um durch die Muskelkontraktionen Wärme zu bilden.

Aber sie können bereits warm und kalt unterscheiden. Wenn sie versehentlich zu weit entfernt von der Mutter liegen und drohen auszukühlen, reicht ein genetisch fixierter Hilfeschrei, damit die Mutter kommt, um den Abtrünnigen wieder in den wärmenden Bereich zurückzutragen.

Bei den Welpen funktionieren aber bereits Geschmacksempfinden, Geruchs- und Tastsinn sowie natürlich die Bereiche im Gehirn, die für Atmung, Herzschlag und Gleichgewichtssinn zuständig sind.

Ausserdem zeigen sie schon Schmerzreaktionen und Schreckreaktionen auf laute Geräusche. Der Rest des Gehirns, des Körpers und des Nervensystems wächst und entwickelt sich.

Im zentralen Nervensystem kommt es zur Bildung von Schutzhüllen (Myelinscheiden) um die Nervenfasern. Dieser Prozess beginnt im Gehirn und setzt sich langsam nach hinten und unten fort. Das erklärt, warum die Motorik von Hundewelpen anfangs vorne besser funktioniert als hinten.

 

Erstes Lernen

Übrigens ist milder(!) Stress in dieser Phase vorteilhaft.

Ein leicht frierender oder auch hungernder Welpe muss aktiv werden, um zum Beispiel sein Bedürfnis nach Wärme oder Nahrung zu befriedigen.

Dabei bekommt er ganz nebenbei erstmals in seinem Leben Grundinformationen über das Prinzip des Lernens.

Man könnte hier sogar von Clickertraining für Neugeborene sprechen: Der Welpe hat ein Bedürfnis, wird aktiv und bekommt für die richtige Problemlösung eine Belohnung in Form von Wärme oder Muttermilch. Ausserdem fördert dieser milde Stress das Immunsystem und sorgt dafür, dass der Hund sein Leben lang mit Stress und verschiedenen Belastungen besser umgehen kann – eine wichtige Grundvoraussetzung für ein langes und zufriedenes Hundeleben.

Die dritte Lebenswoche eines Welpen wird als Übergangsphase bezeichnet, der Welpe öffnet die Augen und die Ohren und tritt erstmals mit seiner Umwelt in Kontakt.

Es folgt die Sozialisationsphase, die fliessend in die sogenannte Juvenilphase übergeht; sie ist die entscheidende Phase im Hundeleben. Zu Beginn dieser Phase nehmen die Neugier und die sozialen Beziehungen sowohl zu den Geschwistern als auch zu den menschlichen Mitbewohnern zu. Ausserdem kommt es bis zur sechsten Lebenswoche immer noch zu Zellteilungen im Hundehirn. Danach ist allerding Schluss damit, ab dann werden «nur noch» bestehende Nervenzellen weiter vernetzt und die Vernetzungen werden stabilisiert. Nur Verknüpfungen, die benötigt werden, bleiben auch bestehen. Alles, was nicht benötigt wird, weil die Reize fehlen, die es als Stimulus dafür braucht, wird in der Pubertät unwiderruflich abgebaut.

Je mehr Umwelteindrücke der Hund also erfährt, desto mehr stabile Verknüpfungen entstehen und desto leistungsfähiger sind nachher der Hund, sein Gehirn und sein Organismus. Hunde, die in dieser Phase die für sie und ihre Umwelt richtigen und wichtigen Reize präsentiert bekommen, können sich ihr Hundeleben lang besser auf Stress und wechselnde Lebensbedingungen einstellen. Zu diesen Reizen gehören zum Beispiel der Lebensraum, Artgenossen, Menschen, Geräusche, Futter und vieles mehr. Die Qualität und die Quantität der erfahrenen Umwelteindrücke bilden dann quasi ein Referenzsystem aus, das bei allen späteren Entscheidungen herangezogen wird. Positive Lernerfahrungen, die besonders in dieser Zeitspanne enorm wichtig sind, vermitteln dem Welpen ein Gefühl von emotionaler Sicherheit und Kontrolle über die an ihn gestellten Anforderungen und stärken dadurch sein Selbstvertrauen.

Darum sollte der Hund gerade in dieser Zeit so viel positive Erfahrungen wie möglich machen, um das Risiko von eventuell später auftretendem unangemessenem Meideverhalten in alltäglichen Situationen so gering wie möglich zu halten. Alles in dieser Zeit als negativ Abgespeicherte kann weitreichende Folgen für das spätere Verhalten des Hundes haben! Passen Sie also gut auf Ihren Welpen auf und tragen Sie dafür Sorge, dass er keine negativen Erfahrungen macht, die er nicht bewältigen kann.

 

Fordern, aber nicht überfordern

Für Sie als Halter ist es wichtig, dass Sie den Welpen zwar früh fördern und fordern, ihn aber keinesfalls überfordern! In dieser Zeit ist es für Ihren Hund wichtig, dass er Reize präsentiert bekommt, die er aktiv aufsuchen kann, wenn er will, dass er aber nicht durch ein «Zuviel» überfordert wird. Heutzutage sieht man sehr viele überforderte Hunde – meist passiert das durch Unwissenheit des Besitzers, der es in der Regel optimal machen will und dabei über das Ziel hinaus schiesst. Auch hier gilt: Die Dosis macht das Gift. Also ist montags Hauptbahnhof, dienstags Flughafen, mittwochs Fussgängerzone, donnerstags Hundeschule … nicht zielführend.

Lassen Sie Ihren Hund das Tempo bestimmen, mit dem er neue Reize kennenlernen möchte. Bieten Sie ihm verschiedene Geräusche, Dinge, Menschen, Bodenuntergründe, Futtersorten und Ähnliches an, aber überlassen Sie ihm die Geschwindigkeit der Kontaktaufnahme, er wird das für ihn richtige Tempo finden.

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Die Grundlagen für die spätere Persönlichkeitsentwicklung des Welpen werden bereits im Mutterleib gelegt. Sie hängt davon ab, welche Einflüsse die Hündin in der Zeit der Trächtigkeit erfährt.
  • Dauerstress bei der Mutterhündin führt bereits in der Gebärmutter zu Veränderungen im Gehirn der Welpen.
  • Welpen, deren Mutter in der Trächtigkeit gestresst war, entwickeln keine so guten Stressbewältigungsstrategien; ihre Lern- und Bindungsfähigkeit ist eingeschränkt und auf Aussenreize reagieren sie oft unpassend.
  • Die vorgeburtliche Stresshormon-Flut hat auch andere Auswirkungen, z. B. sind die Welpen weniger widerstandsfähig gegen Infektionen.
  • Milder Stress bei Saugwelpen ist vorteilhaft. Ein leicht frierender oder auch hungernder Welpe muss aktiv werden. Zudem fördert dieser milde Stress das Immunsystem und sorgt dafür, dass der Hund sein Leben lang mit Stress und verschiedenen Belastungen besser umgehen kann.
  • Positive Lernerfahrungen vermitteln dem Welpen ein Gefühl von emotionaler Sicherheit und Kontrolle über die an ihn gestellten Anforderungen und stärken dadurch sein Selbstvertrauen.
  • Fördern Sie den Welpen früh, aber überfordern Sie ihn keinesfalls.

 

Die Pubertät des Hundes- Wegen Umbauarbeiten vorübergehend geschlossen

n Pfiff angeschossen kam, sich auf Kommando sofort ins Platz warf und auch sonst ein Vorzeigehund war, um den Sie auf der Hundewiese beneidet wurden. Eigentlich, denn plötzlich war alles anders…
Von einem Tag auf den anderen haben Sie das Gefühl, dass Ihr Kleiner nicht mehr weiss, was «Sitz» gleich wieder war, dass er sein tadelloses Sozialverhalten mit den Kinderschuhen an der Garderobe abgegeben hat und ihm zwischenzeitlich sogar sein eigener Name unbekannt vorkommt. Willkommen in der Pubertät, dem Alter, in dem der Halter vorübergehend anstrengend wird.

 

Fast jeder, der schon einmal einen Welpen auf dem Weg ins Erwachsenenalter begleitet hat, kann ein Lied davon singen. Die Pubertät beginnt, wenn die Hündin das erste Mal läufig wird und der Rüde anfängt, das Bein zu heben. Und eigentlich ist sie dann auch recht schnell wieder vorbei. Denn die Pubertät ist ein Teil der sogenannten Adoleszenz, der Phase des Heranwachsens, die in der späten Kindheit beginnt, über die Pubertät andauert und ihr Ende im vollen Erwachsenensein findet. Und diese Phase, von der Pubertät bis zum erwachsenen Hund, in der im Gehirn fast alles neu strukturiert wird, kann je nach Hundepersönlichkeit sehr anstrengend sein. In dieser Phase ist der Hund zwar biologisch gesehen zeugungsfähig und körperlich so gut wie ausgewachsen, aber emotional und sozial noch nicht vollends gereift. Die Adoleszenz ist die Zeit des Ablösens von der Familie und der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit eines Hundes, die Zeit zwischen der Geschlechts- und der Zuchtreife. Every-body‘s Darling war also gestern…

Der Eintritt in die Pubertät und die Dauer der Adoleszenz variiert individuell und ist rasseabhängig. Kleinhundehalter haben Glück: Beim kleinen Hund beginnt die Pubertät früher und die Adoleszenz ist früher abgeschlossen. Ein Herdenschutzhund hingegen kann schon mal vier Jahre brauchen, bis er wirklich erwachsen ist, und Rüden sind in der Entwicklung langsamer als Hündinnen.

Plötzlich ist alles anders…

Anstrengend ist diese Zeit oftmals, weil sich die Prioritäten des eben noch so süssen, unkomplizierten und anhänglichen Welpen nun komplett verschieben. Er wird selbstständiger und zeigt ein gesteigertes Explorations-, also Erkundungsverhalten. Jegliches selbstbelohnendes Verhalten bekommt einen grösseren Stellenwert, jeder Grashalm hat in den Augen des Hundes phasenweise mehr zu bieten als der Halter. Dem Hund fällt es schwer, sich von für ihn wichtigen und lohnenswerten Dingen zu trennen und sich stattdessen auf seinen Besitzer zu konzentrieren. Ressourcen bzw. deren Verteidigung werden auf einmal wichtig, ebenso wie tausend andere Dinge, die der Hund nun plötzlich im Kopf hat, und auch sein Radius vergrössert sich. Problematisch ist hierbei die lernverstärkende Wirkung des Dopamins, der Selbstbelohnungsdroge des Gehirns, die dazu führt, dass diese selbstbelohnenden Handlungen sehr schnell positiv bewertet, erlernt und beibehalten werden.

Biologisch völlig normal

Wichtig zu wissen ist, dass der Hund das keinesfalls tut, um seinen Halter zu ärgern! Die Veränderungen im Verhalten sind ein physiologisch völlig normaler Ablauf und dem Hormoncocktail, den der Vierbeiner gerade genüsslich zu sich nimmt, geschuldet. Wut auf den ignoranten Hund ist also durchaus verständlich, hilft aber nicht weiter. Geduld und Verständnis sind dagegen wichtig, auch wenn das leichter geschrieben als getan ist…

Auch hat das Verhalten, entgegen dem, was man immer wieder hört, nichts mit Dominanz zu tun! «Das hat er ja noch nie gemacht», wird zu Ihrem Standardspruch in den nächsten Monaten und Jahren werden – und stimmt hier sogar einmal. Wenn wir gestern noch einen kleinen Streber unser Eigen nannten, haben wir jetzt ein «Pubertier» an der Leine. Und mit ihm ist über Nacht der «Was-war-Sitz-gleich-wieder-Blick» aufgetaucht. Die Stressanfälligkeit des Hundes steigt und die Reaktionen auf Stressoren werden intensiver.

Ihr Job als Halter ist es nun, dem Hund und seiner Grossbaustelle im Gehirn Verständnis entgegenzubringen, denn er kann tatsächlich nicht anders, als sich so zu verhalten, wie er sich verhält. Trotzdem dürfen Sie sich natürlich nicht auf der Pubertät des Hundes ausruhen, sondern müssen gegensteuern. Bleiben Sie konsequent und bieten Sie Ihrem Hund Sicherheit, Orientierung und Führung, die er dringend benötigt. Denn der Hund wird nicht von selbst aus diesen Problemen «herauswachsen», sondern sie werden sich, wenn man den Dingen ihren Lauf lässt, verfestigen und zu immer grösseren Problemen heranwachsen. Je länger Sie warten, desto schwieriger wird es.

Die hormonellen Vorgänge im pubertären Hundehirn

Den Startschuss für den Eintritt in die Pubertät gibt das Hormon GnRH, das sogenannte Gonadotropin Releasing Hormon. Dieses Hormon aktiviert die Freisetzung der Geschlechtshormone aus den Geschlechtsorganen, was wiederum zu vielfältigen Umbauten im Gehirn führt. Das Gehirn wird vorübergehend zur Grossbaustelle.

Die Folge sind mehr Zuständigkeiten für die Hirnregionen, die für rationale Entscheidungen und sogenannte kognitive, also höhere geistige Leistungen zuständig sind. Dafür bekommen die emotional reagierenden Teile des sogenannten limbischen Systems weniger Gewicht. Das Verhalten wird also während der Adoleszenz vom emotionalen und infantilen Handeln weg und zum erwachsenen und vernünftigen Verhalten hin verlagert. Der Gewinner dieser Aufgabenneuverteilung ist das sogenannte Frontalhirn, das unter anderem dafür zuständig ist, Entscheidungen zu treffen, Informationen im Kopf zu behalten, eine gewisse Planbarkeit zu ermöglichen und für «Multitasking», Impulskontrolle und Frustrationstoleranz zuständig ist. Beim Umbau kommt es zur Umwandlung sogenannter grauer in weisse Substanz.

Die weisse Substanz enthält schnellere Nervenverbindungen und ist leistungsfähiger. Die Umwandlung von Grau in Weiss liegt an der fortschreitenden Myelinisierung der Nervenfasern. Die weiss erscheinenden Myelinhüllen oder -scheiden sind Isolierungen um die Nervenfasern, die Kurzschlüsse verhindern und für eine effektivere und 50-fach beschleunigte Reizweiterleitung sorgen. Wissenschaftler gehen davon aus, dass der kognitive Leistungsabfall zu Beginn der Pubertät auf die Umwandlungsprozesse der grauen zur weissen Masse zurückzuführen sei («…dieser Anschluss ist vorübergehend nicht besetzt»). Im pubertären Gehirn werden also die bisherigen Kupferkabel zu einer schnellen Datenautobahn ausgebaut. Unnötige Nebenstrecken werden abgebaut und dadurch werden die Verknüpfungen optimiert und die Leitungsgeschwindigkeit wird deutlich beschleunigt. Und wie auf jeder anderen Baustelle herrscht während des Baus das pure Chaos.

Warum ist der Hund in der Pubertät so anstrengend?

Aus neurobiologischer Sicht entsteht in der Pubertät ein temporäres Frontalhirndefizit mit all seinen Folgen. Und da das Frontalhirn der Teil des Gehirns ist, der Impulse kontrolliert, Handlungen plant und die Folgen von Handlungen abschätzt, ist klar, dass der pubertierende Hund all das vorübergehend nicht leisten kann. Impulskontrolle und Risikoabschätzung sind also nicht unbedingt die Stärke pubertierender Junghunde. Auf der Ebene der Botenstoffe spielt hier das Dopamin eine wichtige Rolle. Dopamin kann man als die Selbstbelohnungsdroge des Gehirns bezeichnen; es wirkt als Verstärkersystem für innere Impulse und sorgt dafür, dass ein Impuls in eine Handlung umgesetzt wird. Dieses dopaminerge System ist in der Zeit der Pubertät am stärksten ausgebildet, und wegen seiner selbstbelohnenden Funktion sind Junghunde immer begierig auf eine Stimulation dieses Systems, quasi immer auf der Suche nach dem Dopamin-Kick. In der Humanpsychologie spricht man hier vom «sensation seeking». Je schlechter also in der Pubertät die bremsende und hemmende Funktion des Frontalhirns funktioniert und je mehr dopaminerger «Sprit» zum Antrieb vorhanden ist, desto grösser wird die Risikobereitschaft.

Dazu kommt, dass der Mandelkern (die Amygdala), das emotionale Bewertungszentrum des Gehirns, das die Wahrnehmung und die Reaktionen steuert, sich in dieser Phase vergrössert und empfindlicher und intensiver auf Reize aus der Umwelt reagiert. Dies bedeutet, dass Reaktionen emotionaler ausfallen, als wir es bisher kannten. Dies ist leider auch ein guter Nährboden für Aggression. Der «Canis pubertus» testet also seine Grenzen aus und ist auch in Auseinandersetzungen risikobereiter. Das ist biologisch durchaus sinnvoll, denn kein Jungwolf oder Junghund würde abwandern und eine eigene Familie gründen, wenn das nicht so wäre und er stattdessen auf ein risikoloses, sicheres Leben mit Bausparvertrag und Vorgartenidylle aus wäre…

Gewinner – Verlierer?

Klarer Gewinner der Pubertät ist das vordere Stirnhirn, das mit Entscheidungsfindung, rationalem Handeln und der Lösung von Problem befasst ist. Andere Bereiche der Grosshirnrinde, die für die Verknüpfung von Informationen und damit für die (vernünftige) Bewertung von Aussenreizen und deren rational sinnvolle Beantwortung zuständig sind, gehören ebenfalls zu den Gewinnern der pubertären Umorganisation.

Die Verlierer des Umbauprozesses sind insbesondere Teile des limbischen Systems, also des für Emotionen zuständigen Teils des Gehirns. Dort wird vor allem die Wirksamkeit von Dopamin verringert. Was hier stattfindet, also emotionale und unüberlegte Handlungen, wird also nicht mehr so stark positiv bewertet und entsprechend nicht mehr so häufig gezeigt.

Stress lass nach!

Während der Pubertät kommt es aber auch zu einer starken Erhöhung der Aktivität der Nebennierenrinde, die das Stresshormon Cortisol produziert, wodurch die erhöhte Stressanfälligkeit in dieser Zeit erklärlich wird. Ausserdem kommt es zu einer verstärkten Ausschüttung des Elternhormons Prolaktin, einem Gegenspieler des Cortisols. Der gesamte Hormoncocktail aus Stresshormonen, insbesondere Cortisol, Sexualhormonen, Nervenwachstumsfaktor, Prolaktin und anderen wird in eine heftige Berg- und Talfahrt versetzt. Dies belegen Untersuchungen an Menschen, Hunden, Affen und anderen Tierarten; der Stresshormonspiegel ist bei allen Säugetieren während der Adoleszenz am höchsten.

So kompliziert diese Zusammenhänge auch sein mögen, so wichtig sind sie doch für das Verständnis für den Hund und seine Achterbahn der Gefühle. Also rufen Sie sich all das immer ins Gedächtnis, wenn Ihr Hund Sie mal wieder auf die Palme bringt. Und denken Sie daran: Die Pubertät bzw. die Adoleszenz ist nur ein Lebensabschnittsgefährte und geht vorbei.

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Eintritt in die Pubertät und die Dauer der Adoleszenz variiert individuell und ist rasseabhängig.
  • Der Hund wird selbstständiger und zeigt ein gesteigertes Erkundungsverhalten.
  • Jegliches selbstbelohnendes Verhalten bekommt einen grösseren Stellenwert. Dem Hund fällt es schwer, sich von für ihn wichtigen und lohnenswerten Dingen zu trennen und sich stattdessen auf seinen Besitzer zu konzentrieren.
  • Ressourcen bzw. deren Verteidigung werden auf einmal wichtig.
  • Die Veränderungen im Verhalten sind ein physiologisch völlig normaler Ablauf. Der Hund benimmt sich keinesfalls so, um seinen Halter zu ärgern!
  • Trotzdem darf «falsches» Benehmen nicht geduldet werden. Bleiben Sie konsequent und bieten Sie Ihrem Hund Sicherheit, Orientierung und Führung, die er dringend benötigt.
  • Wenn man den Dingen ihren Lauf lässt, verfestigen diese sich und wachsen zu immer grösseren Problemen heran.
  • Bedenken Sie: Infolge der Veränderungen im Gehirn sind Impulskontrolle und Risikoabschätzung nicht unbedingt die Stärke pubertierender Junghunde.
  • Der Junghund reagiert empfindlicher und intensiver auf Reize aus der Umwelt. Dies bedeutet, dass Reaktionen emotionaler ausfallen als bisher. Dies ist leider auch ein guter Nährboden für Aggression.
  • Der Stresshormonspiegel ist bei allen Säugetieren während der Phase des Heranwachsens am höchsten.

BEIDE TEXTE:

Sophie Strodtbeck